Das Buch heisst „Männer kaufen" und handelt von Strichern und Freiern. Dafür recherchierte der Zürcher Journalist Oliver Demont fast drei Jahre im Milieu seiner Heimatstadt. Erst nach einigem Zögern erklärt sich der 35-jährige Autor zum Gespräch bereit. Die Angst vor Missverständnissen ist gross. Das Buch rührt an zahlreichen Tabus, die in einer sich liberal gebenden Gesellschaft keine mehr sein dürften.
In „Männer kaufen" geht es nicht nur um die Lebensgeschichte der Escorts und den Alltag in dieser Szene. Das Buch erzählt auch von den seelischen Folgen der Prostitution – bei Strichern und Freiern. Eine Sozialstudie will „Männer kaufen" aber nicht sein. Es präsentiert sich als hochwertig ausgestatteter Reportage- und Porträtband mit schwärmerischen Bildern des Fotokünstlers Walter Pfeiffer. Sie zeigen verspielte, manchmal auch freizügige Porträts von jungen Männern, deren Körper käuflich sind.
BaZ: Ein ästhetisch gestaltetes Coffeetable Book über schwule Prostitution – wer ist die Zielgruppe für dieses Buch?
Oliver Demont: Die Idee ist eher zufällig entstanden. Irgendwie kam ich mit dem Verleger auf das Thema Stricher in Zürich, an welchen Orten sie verkehren und wo es besonders viele gibt. Uns war beiden sofort klar, dass das ein interessantes Thema ist. Und zwar für ein breites Publikum. Wir fanden es wichtig, unvoreingenommen an die Szene heranzugehen und nicht nur die üblichen Klischees von Elend und Drogen zu bedienen. Darum wurde Walter Pfeiffer angefragt, ob er die Bilder von den im Buch porträtierten Strichern macht. Dieses Zusammentreffen von Kunst und Journalismus war nicht immer ganz einfach: Wollte ich eine möglichst grosse Vielfalt der Szene abbilden, stand für ihn klar der künstlerische und ästhetische Zugang im Vodergrund, auch bei der Auswahl der Protagonisten.
War es schwierig, überhaupt Gesprächspartner zu finden? Sie porträtieren ja nicht nur Escorts, sondern auch Freier.
Das war extrem aufwendig. Zu Beginn meiner Arbeit konzentrierte ich mich nur auf die Stricher. Aber wenn man das Wechseslpiel der verschiedenen Akteure wirklich verstehen will, muss man das ganze Milieu sehen, und dazu gehören die Kunden. Viele Stricher waren bereit, von sich zu erzählen, aber nur ohne Bild. Zwar haben sie Profile mit Fotos in Internetportalen, manche haben sogar als Darsteller in Pornos mitgespielt. Aber als Stricher mit der eigenen Geschicthe in einem Buch vorzukommen, und dann auch noch mit Foto, wo man sie erkennnt, das war für viele ein absolutes No-Go. In den Gesprächen waren die Freier insgesammt interessanter. Sie sind älter, sodass auch eine gewisse Reflexion über das Thema möglich ist. Aber sie hatten es auch leichter, weil sie im Buch ja nicht gezeigt werden.
„Männer kaufen" porträtiert ein Dutzend Stricher. Etwa den 27-jährigen Tunesier Mehdi, dessen Vater Zuhälter war. „Was ist schon Liebe?", sagt er. „Liebe ist Luxus. Etwas für Schweizer." Seine Libido hält Mehdi mit Kokain aufrecht, so kann er auch mit einem Stammkunden nächtelang Sex haben, den er körperlich unattraktiv findet. Oder den 24-jährigen Polymechaniker Fabian aus dem Zürcher Unterland. Der hat die Ausstrahlung eines unverdorbenen Provinzjugendlichen und bedient nur Kunden aus den oberen Gesellschaftsschichten: „Ich bin Schweizer, zuvorkommend und anständig."
Dazwischen kommen Freier zu Wort. Etwa ein 58-jähriger Malermeister und Familienvater aus der Ostschweiz, der alle zwei Wochen nach Zürich fährt, um in einer Schwulensauna Stricher zu treffen. „Meine Frau weiss davon, es gab da einen dummen Zwischenfall." Er hat sie mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt. Ein 72-jähriger Psychiater sagt: „Sex will ich weiterhin – aber diejenigen, die ich altersmässig will, kriege ich nur gegen Geld."
Wo Menschen sich intim begegnen, kann ein gefühlsmässiger Kontakt nie ganz vermieden werden. Er ist es, der auf beiden Seiten Spuren hinterlässt. Die sachliche Herangehensweise von Demont lässt die Zwischentöne hervortreten. Seine Sicht ist unvoreingenommen, aber nicht ohne Haltung. Einen leichten Zynismus kann er nicht verbergen, wenn er etwa den Kunststudenten Urs in die Schwulenbar Caroussel begleitet, wo dieser ein bisschen Unterwelt tanken will, ohne sich selbst schmutzig zu machen. Über ihn schreibt Demont: „Einmal im Monat geht Urs dorthin. Er geht gerne dorthin, auch wenn er nicht genau weiss, warum, denn er kaufe sich da keine Körperlichkeit, wie er mir beteuert (er habe noch nie für Sex bezahlen müssen, noch nicht), schaffe nicht an (er habe Geld, seine Mutter unterrichte Biologie am Gymnasium und überweise ihm monatlich einen Betrag), und überhaupt sei in dieser Bar „alles Formgebende tiefe Nacht" (er studiere an der HGKZ, die heute Zürcher Hochschule der Künste heisst – was hier keine Bedeutung hat, aber Urs weist die Leute gerne auf diesen Namenswechsel hin)."
Hat die Recherche Ihre Sicht auf das Thema Prostitution verändert?
Ich glaube inzwischen, dass es klare, gesetzlich festgelegte Strukturen geben muss, die den Bereich „Schutz und Abgrenzung" regeln. Je mehr deine Grundbedürfnisse finanziell gedeckt sind, desto leichter fällt es, dich selbst abzugrenzen. Das heisst zum Beispiel, auch für mehr Geld nicht Sex ohne Gummi zu praktizieren. In das Thema spielen viele verschiedene Aspekte hinein: wirtschaftlich, ethisch, sozial. Auch Drogen und Ausländerfragen. Ein Stricher aus Brasilien, der mit einem dreimonatigen Touristenvisum kommt und danach bleibt, ist illegal. Wenn er von einem Freier misshandelt wird, geht er nicht zur Polizei. Er ist völlig ungeschützt und das wissen manche Freier auch.
Es gibt ja auch Stimmen, die ein vollständiges Verbot von Prostitution fordern, wie es etwa in Schweden praktiziert wird.
Ich finde, das ist extrem moralisch diskutiert, und darin liegt mir zu viel Selbstgerechtigkeit. Klar können wir hier im Kreis 4 sitzen, Espresso trinken und aus einer gesicherten Position heraus ein Prostitutionsverbot fordern. Die Frage ist nur: Was würde ein solches Verbot bringen? Ich befürworte viel mehr klar definierte Regeln. Es geht darum, dass ein Mensch, der sich prostituiert und dabei misshandelt wird, sich in einem gewissen Rahmen gegen solche Übergriffe wehren kann wie das in anderen Berufen auch der Fall ist.
Hier wird der sonst eher coole Gesprächspartner nachdrücklich. Und das ist ihm selbst unangenehm. Prostitution als Thema sei unsexy, sagt Oliver Demont. Das erlebe er in vielen Gesprächen. Sobald man eine andere Position als die der totalen Toleranz vertrete, gerate man in den Verdacht, prüde oder moralistisch zu sein. Aber das sei für ihn einfach nicht mehr der Punkt. Im Moment sei das ein vollkommen liberalisierter Markt, der viele Menschen gefährde.
Ganz hinten im Buch interviewen Sie den Psychiater David Garcia zu der Frage, welche seelische Auswirkung die Prostitution hat. Wozu diese Psychologisierung?
Tatsächlich wollte ich das Interview zuerst nicht machen, um das Thema nicht zu pathologisieren. Aber im Lauf der Recherche habe ich gemerkt, dass einige Mechanismen einfach näher betrachtet werden sollten. Zum Beispiel spielen in dieser Szene das Älterwerden und das Schwinden der körperliche Attraktivität eine grosse Rolle. Und auch die oftmals beidseitige Abhängigkeit zwischen Stricher und Freier. Und dazu war das Interview eine gute Möglichkeit.
Darin sagen Sie, dass Ihnen im Verlauf der Recherche klar wurde, dass Prostitution so problemlos gar nicht sei, wie Sie ursprünglich dachten. Was meinen Sie damit?
Ich habe keine moralischen Probleme mit dem Thema und finde es eher spannend, was die Stricher für einen Job machen. Die tauchen ja in ganz unterschiedliche Welten ein und müssen dort sehr spontan reagieren. Aber ich habe eben auch gemerkt, dass viele die Werkzeuge gar nicht haben, um emotional mit diesen Situationen klarzukommen. Das wird dann teilweise mit Drogen überdeckt oder sie werden depressiv. Dazu kommt die Erfahrung, aufgrund seiner sexuellen Orientierung abgewertet worden zu sein. Die haben sowohl schwule Stricher als auch Freier schon erlebt. Das sind Bereiche, die man normalerweise nicht anspricht, um nicht als Jammeri oder Kampfschwuler dazustehen. Im Kontext des Gesprächs mit dem Psychiater lassen sich diese Dinge hingegen thematisieren.
Arbeiten in der Prostitution also vorwiegend Leute, die seelische Probleme haben?
Für die Beteiligten war von Anfang an klar, dass es ein respektvolles Buch sein soll. Nicht schnoddrig und auch nicht voyeuristischer als nötig. Sondern ein stolzes, schönes Buch, das Personen würdigt, von denen man sonst nicht viel hört. Dazu sind einfach ein paar Spots auf Themen gerichtet, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Aber es war nie mein Ziel, eine einzige Wahrheit zu drechseln. Dafür sind die im Buch enthaltenen Realitäten zu vielfältig.