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Nr. 91, Vor Luther, Calvin, Zwingli war in der Kirche deutlich mehr Lametta

Die ZEIT (Christ & Welt), erschienen 23. November 2018

Vom Zürcher Großmünster aus nahm die Schweizer Reformation ihren Anfang. Für die Dreharbeiten wurde die Kirche nun in ihre katholische Urform zurückgebaut. Hat doch was, der ganze Prunk – fanden die Protestanten. Ein Ortstermin.

Die Kälte im Kirchenschiff ist außergewöhnlich. Doch oben im Chor steht mit fiebrigem Blick und schwarzem Talar ein Mann und ruft: „Christ zu sein bedeutet nicht, über Christus zu schwatzen! Sondern ein Leben zu führen, wie Christus es geführt hat!“ Die Gemeinde murmelt verstört. Der Prediger ist gezeichnet von Krankheit: Ringe unter den Augen, die Haut zwischen den dunklen Bartstoppeln wächsern und schal. Immer wieder hustet und schnieft er. Was ist das für ein merkwürdiger Augenblick?

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© Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche kommerzielle oder nichtkommerzielle Nutzung, auch auszugsweise und in elektronischen Medien, nur mit schriftlicher Zustimmung der Autorin.

Reportage
Religion
Schweiz
Film

Nr. 92, Irgendwie sehe ich die Dinge anders - Übers Zeichnenkönnen

Buchbeitrag – in: Stefan Dornbusch: Über die Ansicht der Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln, Bauhaus Universitätsverlag, Ilmtal-Weinstraße 2019

Gut, dann zeichne ich halt jetzt meine Lieblingstasse. Sie ist eher niedrig, dafür relativ weit und hat drei gebogene Füßchen. Irgendwie asiatisch. Die Muster lasse ich weg.

Zuerst das Oval der Öffnung. Das gelingt auf Anhieb ganz gut. Ein waagrechtes Oval, mit einem Strich gezogen. Hat eine gewisse Ähnlichkeit. Bloß, dass es nicht das Oval der Tasse ist. Es ist die Vorstellung, die ich von einem waagrechten Oval habe. Denn ich sehe das Oval der Tasse nicht. Ich weiß bloß, dass es da ist. Schon jetzt bin ich bei diesem Problem gelandet. Jetzt der Körper der Tasse. Ein nach unten verjüngter, breiter Streifen unter dem Oval. Doch da, wo er anschließt, ist der Rand der Tasse etwas nach außen gewölbt. Mein Herz beginnt zu pochen. Es macht mich wütend, dass ich nicht weiß, wie ich den Stift auf dem Blatt führen soll um diese Wölbung darzustellen. Ich finde für diese Tasse jede Menge Worte. Aber ich versage am Strich. Das, was mein Hirn wahrnimmt, vermag meine Hand nicht auf Papier zu übertragen. Ich weiß, dass es um Flächen, um Linien, um Abgrenzung zum Raum geht. Doch das hilft mir nicht weiter. Ich verstehe die Tasse. Ich erkenne sie. Aber ich kann sie nicht richtig sehen.

Meine Freundin A. findet es kurios, dass ich nicht zeichnen kann. Ihr ist es so selbstverständlich wie Lesen und Schreiben. Seit Stunden sitzen wir auf einer Dachterrasse. Sie zeigt auf die Hochhäuser gegenüber. Da, das ist ganz einfach. Das sind ja nur Rechtecke. Das könntest du jetzt sofort abzeichnen. Doch ich sehe keine Rechtecke. Ich sehe den Rhythmus einer Fassade, das ja. Vor allem aber sehe ich Fenster, hinter denen Menschen wohnen. Du sollst keine Sozialstudie betreiben, sagt A. Du sollst schauen, was du siehst. Versuche einfach, zweidimensional zu sehen. Natürlich gelingt mir das nicht. Ich erkenne nicht den Übergang von der zweiten zur dritten Dimension. Irgendwie sehe ich die Dinge wohl anders. Ich greife gleich nach der Bedeutung. Und verpasse dabei die Form.

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Essay
Kunst
Zeichnen
Buchbeiträge

Nr. 93, Zwingli, Schweiz 2019, FSK ab 12. – Wie ein Kinofilm entsteht

Bref – Das Magazin der Reformierten, erschienen 11. Januar 2019

Ganz am Anfang stand ein Flyer. Darauf hiess es: „Bei Zwingli ist alles da, was grosses Kino ausmacht: Religion und Macht, Lust und Liebe, Gewalt und starke Überzeugungen.“ Getextet von einem Pfarrer namens Martin Breitenfeldt, den die Reformierte Kirche des Kantons Zürich mit der Koordination des 2009 anstehenden Schweizer Reformationsjubiläums beauftragt hatte. „Wir können keine Filme machen. Wir haben leider auch keine Millionen“, stand in dem Aufruf, der Anfang 2014 an Schweizer Kulturschaffende ging. „Möchten Sie trotzdem mit uns darüber nachdenken, wie es zur Produktion eines solchen Filmes kommen könnte?“ Wie ein Marktverkäufer, der immer noch ein Extra drauflegt, listete Breitenfeldt auf, was alles für Zwingli spräche. Da wären „grossartige Kulissen in seiner Heimat Toggenburg“, die „Leidenschaft zu mehreren Frauen als junger Priester“ und das „Auslösen der Reformation durch Predigt und politisches Agieren“. Obendrauf die „Pestzeit, Todesnähe, spirituelle und existenziell-innerseelische Grenzerfahrungen“. Dann, sozusagen als Bonusmaterial, ein „gewaltsamer Tod, Vierteilung, Zerstreuen seiner Asche“. Lange passierte nichts.

Dann traf Breitenfeldt auf den Kölner Fernsehproduzenten Mario Krebst. Dieser bereitete gerade einen Historienfilm über Luthers Ehefrau Katharina vor, mit dem er der ARD im Lutherjahr 2017 eine gigantische Einschaltquote bescheren würde. Die Idee, den Zürcher Reformator auf die Leinwand zu bringen, gefiel ihm. Krebst hatte in den siebziger Jahren beim sozialistischen Theologen Helmut Gollwitzer in Berlin studiert. Er sagte: „Ich mochte Zwinglis Radikalität schon immer.“ Klar war ihm aber auch: „Das ist ein Schweizer Film. Als Deutscher kann ich höchstens ein bisschen mithelfen.“ Das stimmt natürlich nicht ganz. Ohne Mario Krebs wäre der Zwinglifilm kaum gedreht worden. Er war es, der als erster nach einer passenden Person suchte, die das Drehbuch schreiben könnte. Denn damit fängt in der Filmwelt alles erst an. Eine Talentsucherin machte ihn mit der Baselbieterin Simone Schmid bekannt.

Katholisch oder reformiert?

Kurz darauf, im Juli 2014, trafen sie sich zum erste Mal in Zürich. Mario Krebs‘ erste Frage: „Welche Konfession haben Sie?“ Von der Antwort ist er begeistert. Schmid ist eines von vier Geschwistern. Zwei wurden katholisch getauft und zwei reformiert, darunter Simone. Mit dieser Aufteilung rebellierten die Eltern gegen die eigene Herkunft. Schmids Vater war streng katholisch aufgewachsen, die Mutter in einer reformierten Pfarrfamilie. Auf ihre katholischen Geschwister war Simone Schmid etwas neidisch. Weil ihr die Riten und Bräuche gefielen. Ansonsten hatte Religion kaum eine Bedeutung für sie.

Die heute 39jährige studierte Geografie und Journalismus und arbeitete acht Jahre bei grossen Zeitungen wie NZZ am Sonntag und Tages-Anzeiger. In ihrer Freizeit besuchte sie einen Drehbuchkurs, später wurde sie an der renommierten Münchner „Drehbuch-Werkstatt“ aufgenommen. Hier lernt der Nachwuchs von den Koryphäen der Szene. Jedes Jahr kämpfen Hunderte Bewerber um die zehn Plätze, die der Bayerische Rundfunk mitfinanziert. Mit dieser Ausbildung wird, salopp formuliert, sichergestellt, dass dem deutschsprachigen Formatfernsehen der Nachschub nicht ausgeht. Das ist wichtig, denn es hat etwas damit zu tun, wie die Geschichte von Zwingli erzählt wird. Gross genug fürs Kino. Und brav genug fürs Fernsehen.

Zwingli sperrt sich

Ein paar Wochen lang liest Simone Schmid stapelweise Bücher, später folgen Gespräche mit Experten wie dem Reformationshistoriker Peter Opitz, um ein Bild des Menschen Ulrich Zwingli zu bekommen. Für Simone Schmid bleibt er kopflastig und streng. Dann entdeckt sie auch noch, dass er pragmatische Machtpolitik betrieb. Sie ist empört. Das wird nichts. Spätabends ruft sie Krebs an, um ihm mitzuteilen, dass sie aufgebe. Der Produzent findet die richtigen Worte. „Du musst Zwingli als Ethiker sehen“, sagt er. Als einen, der die Gesellschaft gerechter machen wollte. Einer, der in Umbruchzeiten zwischen vielen verschiedenen Interessen vermitteln musste, damit seine Ideen nicht zermalmt würden. Okay, sagt Simone Schmid. Eine Woche gibt sie dem Reformator noch.

In dieser Woche erkenn sie, dass viele von Zwinglis Themen auch mit der Gegenwart etwas zu tun haben. „Er wäre heute ein linker Aktivist“, wird sie später gegenüber einer Zeitung sagen. Dann findet sie heraus, dass es im Leben des Priesters eine wichtige Frau gab. Die Witwe Anna Reinhart pflegte ihn, als er kurz nach seiner Ankunft in Zürich mit dem Pesttod rang. Er lebte offen und unverheiratet mit ihr zusammen, bis er sie nach zwei Jahren ehelichte. Diese Frau war ihm so wichtig, dass er für sie Misstrauen und Ablehnung in Kauf nahm und das Zölibat bracht. Durch Anna Reinhart wird Simone Schmid später Zugang zum Stoff finden. Auf ein paar wenigen Seiten skizziert sie Zwinglis Geschichte.

Unterdessen macht sich Mario Krebs auf die Suche nach einer Schweizer Produktionsfirma. Schon im Sommer 2014 hat er die Zürcher Produzentin Anne Walser kontaktiert. Im Dezember liegt das Exposé auf ihrem Tisch. Noch vier Jahre bis zum Jubiläum. Die Zeit drängt.

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